Gott als Kopilot in Jeepneys – Daniel Fox
Merian Heft 4/82 - Philippinen
Über die philippinischen Träume in Blech, die Lastesel des täglichen Nahverkehrs.
Man nehme einen alten amerikanischen Willys-Jeep, verlängere das Chassis um zwei Meter, stelle zwei Sitzbänke in Längsrichtung darauf und schweiße ein Dach darüber - und man hat noch lange keinen Jeepney. Erst eine ganz spezielle Mischung menschlicher Eigenschaften wird aus diesem Vehikel einen Jeepney zaubern können: Südostasiatische Lebenslust, spanischer Katholizismus und nordamerikanische Großmannssucht sind mindestens erforderlich. Vielleicht war es nach 1945 auch einfach nur die Freude über den Abzug der Amerikaner, die Ratlosigkeit, was man mit den zurückgelassenen Jeeps anfangen sollte, und der Mangel an öffentlichen Nahverkehrsmitteln, was zu diesem abenteuerlichen Fahrzeugtyp geführt hat. Doch um solch mobile Popart herzustellen, bedarf es zusätzlich handwerklichen und auch einigen künstlerischen Geschicks. Da flattern grelle Vorhänge vorn unter der Stoßstange, darüber flackern zahllose Scheinwerfer und Blinkleuchten jedweder Farbe. Hörner und Sirenen tönen Beethovens Neunte, den River-Kwai-Marsch oder, gänzlich unerhört, »I am dreaming of a white Christmas«. Die Kotflügel sind verchromt, die Scheinwerfer tragen Schildmützen, auf der Motorhaube steht ein Dutzend aus Aluminium gegossener Rösser. Und überall ein Spiegel neben dem anderen, nur mit diesem einen Zweck: daß der stolze Fahrer sich und den schönsten Teil seines Vehikels dauernd darin betrachten kann, der rückwärtige Verkehr interessiert ihn nicht. Vor der Windschutzscheibe wippen meterlange Antennen, dahinter versperrt Mutter Maria oder ein Kaktus oder ein Strauß künstlicher Rosen oder ein echter Rosenkranz oder gar alles zusammen dem Fahrer die halbe Sicht. Den Rest besorgen eine Tüllgardine und verschiedene Heiligenbildchen und Jesus, immer schwarzgelockt. Die Seitenteile des Fahrzeugs sind mit allen menschlichen und meist männlichen Sehnsüchten bemalt: halbnackten Mädchen, Palmenstrand, Sonnenuntergang, amerikanischen Popstars, Mondraketen, dicken Straßenkreuzern à la Cadillac - weltlich ist alles, unerreichbar das meiste.
Nach hinten, dort, wo die Fahrgäste sitzen, wird es zwar bescheidener, aber kein Stückchen ist nur reines Blech - da ein Chromteil, dort was vernickelt, ein Vorhang, eine Schabracke, Männersprüche und fromme Wünsche allüberall: »Kommt näher, Girls«, »Jungfrau Maria segne unseren Trip«, »Eine Frau ohne Mann ist wie ein Jeepney ohne Fahrer«, »Gott ist mein Kopilot«. Hoffentlich. Die Vorderräder schlackern, die Reifen sind meist abgefahren, die Federn ächzen, das Getriebe knirscht. Und der Fahrer wischt sich dauernd die schwitzende Stirn, kassiert von hinten Geld, flirtet vorne mit Fußgängerinnen, ignoriert rote Ampeln, hupt und winkt und pfeift nach potentiellen Fahrgästen - er ist der große Maestro im Verkehrsgewühl. Es bedarf schon eines gewissen Gottvertrauens oder asiatischer Gelassenheit, sich zu ihm in sein rollendes Kitsch-Kunst-Werk zu setzen. Den richtigen unter Manilas etwa 40 000 Jeepneys herauszufinden, ist nicht schwer. Über der Windschutzscheibe und an beiden Seiten ist die Fahrtroute angeschrieben. Ein Wink genügt, und der Jeepney hält. Wenn er nicht allzuvoll ist. Aber was heißt schon voll. Die beiden Sitzbänke hinten fassen nach europäischen Maßstäben vielleicht zehn Personen, nach philippinischen Regeln finden auch 20 noch Platz. Nicht, weil sie die schmaleren Hüften hätten, aber Filipinos sind weniger körperkontaktscheu und gedrängtes Zusammenleben gewohnt. Also, ruhig hinein in die vollen. Die Hände sind am besten an der Haltestange über dem Kopf aufgehoben. So gerät man nicht in die Verlegenheit, an anderleuts Knie zu fassen, und kann zudem die gröbsten Schlaglochstöße zugunsten von Steißbein, Rückgrat und Schädel¬decke etwas abfangen. Außerdem wird gelegentlich zwischen den eigenen Knien noch ein Schemel für einen weiteren Fahrgast aufgebaut. Oder es landet dort ein Sack Reis oder ein Bündel lebender Hühner oder ein Aktenkoffer oder sonst was.
Wer aussteigen will, wo auch immer an der Strecke, selbst mitten auf der verstopften Kreuzung, der klopft kräftig gegen das Dach, gibt dem Fahrer abgezählte 60 Centavos oder seinem Nebenmann, der sie weiterreichen wird - das ist alles. Mit etwas Glück kommt man wieder auf die Straße, bevor der Fahrer Gas gibt und einen in seiner Diesel-Abgaswolke stehen läßt.
Drei Millionen Passagiere werden täglich von Jeepneys durch Manila gekarrt, sie halten den Verkehr in Gang und bringen ihn gleichzeitig zum Ersticken. Und die Stadtväter zur Verzweiflung. Und die Streifenpolizisten zu gewissem Wohlstand. Ein Drittel aller Jeepneys fährt ohne Genehmigung, bei regelmässigen Straßensperren werden selten wel¬che erwischt, weil alle Fahrer wissen, wie hoch das Schmiergeld sein muß.
Die Verwaltung Metro-Manilas versucht jedes Jahr aufs neue, den öffentlichen Nahverkehr mit Omnibussen zu organisieren - vergeblich. Nicht nur, weil die großen Busse die von Jeepneys verstopften Straßen gar nicht passieren können. Auch nicht, weil die Jeepneys an jeder gewünschten Stelle halten oder weil ein Jeepney im Dreischichteneinsatz drei Familien ernähren kann. Sondern vor allem, weil es nichts gibt, was typischer philippinisch wäre als ein Jeepney.
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