Gesichtsverlust auf den Philippinen und in der asiatischen Kultur

von Gerhard Knauber

Warum gibt es eigentlich kaum vernünftige Literatur, zumindest habe ich keine bisher gefunden, in der man die asiatische oder gar philippinische Kultur verständlich und kompakt nachlesen kann? Dies hat meines Erachtens zwei Hintergründe: Erstens, die Komplexität der asiatischen Kultur, die man als Nicht-Asiate kaum versteht und somit auch nur schwer erklären kann. Und zweitens, was die philippinische Kultur angeht, überlagern sich hier auch Gegensätze, die selbst anderen Asiaten ebenso befremdlich erscheinen. Dennoch werde ich den Versuch wagen, hier zunächst die asiatische Kultur zu erläutern und dann in einem zweiten Schritt zu einem späteren Zeitpunkt die Besonderheiten und Unterschiede der philippinischen Kultur abarbeiten.

Generell spreche ich im weiteren Verlauf von „Westlern“ und „Asiaten“, was ich nicht abwertend meine. Mit „asiatischer“ Kultur bezeichne ich hier die Kulturen, deren Wurzeln primär aus China stammen. Auch bitte ich die getätigten Aussagen nicht alle sofort auf die Goldwaage zu legen. Pauschalisierungen sind bei solch einer komplexen Materie nicht immer ganz vermeidbar, ohne vom Hundertsten ins Tausendste zu geraten. Wem das nicht passt, muss nicht weiterlesen, sondern kann sich selbst die Mühe machen die Kulturen zu erforschen.

Um die philippinische Kultur zu verstehen, ist eine Kenntnis der westlichen und der asiatischen Kultur notwendig. Denn der Ursprung der philippinischen Kultur entstammt der asiatischen „Schamkultur“. Diese wurde aber mit der spanischen Missionierung versucht zu ersetzen, wo mit dem Katholizismus die „Schuldkultur“ eingeführt wurde. Diese Einführung schlug aber fehl, übrig blieb ein Mix dieser beiden extrem unterschiedlichen Kulturen. Die Folge daraus sind Probleme des Landes und seiner Menschen, deren Identität dadurch genommen wurde und eine sehr hohe Kriminalitätsrate aufweist. Vielleicht, falls ich bis dahin noch Lust an der Sache verspüre, werde ich auf die Folgen noch gezielt in einem eigenständigen Artikel eingehen.

Meine Kulturbeschreibung bzw. Vergleich umfasst einige Kapitel, die ich versucht habe thematisch zu gruppieren, was nicht immer so leicht fiel, da Überschneidungen der einzelnen Themengruppen nicht ganz verhindert werden konnten.

  1. Der Gesichtsverlust

In der gesamten Abhandlung wird der „Gesichtsverlust“ relativ häufig anklingen, da in den asiatischen „Schamkulturen“ sich dieser als roter Faden hindurchzieht. Übrigens spricht man bei der westlichen Kultur dagegen häufig auch von der „Schuldkultur“. Während man in der Schamkultur die eigene Wertschätzung als wichtigstes Ziel anstrebt, ist in der vom Christentum geprägten Schuldkultur, eben die Vergebung seiner Schuld ein sehr wichtiges Ziel (so zumindest in der Tradition). Aber selbst heute noch ist in der Schuldkultur das Gewissen das Kontrollinstrument, was aber in der Schamkultur kaum Bedeutung hat.

Um das erste Missverständnis zu vermeiden, sollte man sich über folgendes klar werden. Als „Gesicht“ bezeichnet man in der Schamkultur, nicht nur die sichtbare Vorderhälfte des Kopfes, sondern auch die Meinung über eine Person, also ihr „Ansehen“! Sein Ansehen verliert man in der Schamkultur, wenn man „versagt“. Im Beruf, in der Familie oder generell wenn man die angeforderte Leistung nicht erbringen kann. Verstärkt wird der Gesichtsverlust dann, wenn er von anderen angesprochen wird oder durch Auslachen, Kritik, Andeutungen oder direktes Hinterfragen, zusätzlich betont wird. Da es verpönt ist, diesen Gesichtsverlust zur Sprache zu bringen, verliert derjenige, welcher ihn anspricht ebenso sein Gesicht! Aber selbst das Andeuten eines Wutausbruchs, das Anheben der Stimme oder das Zeigen von Ärger, bewirkt einen Gesichtsverlust!

Von Geburt an wächst jedes asiatische Kind in dieses Empfinden, dass der Gesichtsverlust das Schlimmste überhaupt darstellt, was einem Menschen widerfahren kann. Diese Angst sitzt sehr tief und kann mitunter zu einer geistigen Starre führen, die den Mut etwas zu wagen, blockiert. Sie ist auch der Grund weshalb man von Asiaten immer nur das erwarten kann, was man ihnen direkt anweist! Denn wenn er bei etwas wo er keine direkte Order dafür hatte einen Fehler macht, verliert er sein Gesicht!

Die Verarbeitung des Gesichtsverlustes verläuft leider nicht so schematisch wie die Beschreibung der Entstehung. Die Kinder lernen „das tut man nicht!“ und dann haben sie hoffentlich genug gelernt um ihn zu vermeiden. Sollte das aber nicht ausreichen und es kommt dann doch zum „Versagen“, dann … ja dann hat jeder seine individuelle Schwelle, bei deren Überschreitung er ganz unterschiedlich und oft heftig reagiert. Dies kann u.U. dann Suizid bedeuten, ein längeres Verkriechen oder in der Ermordung des Verursachers enden.

So ist es keine Ausnahme, als letztes Jahr ein 15-jähriger Schüler im Pausenhof einen Klassenkameraden erstach, der ihn zuvor im Unterricht auslachte. Ein 8-jähriger Junge wurde auf einer Geburtstagsfeier von einem anderen im selben Alter gehänselt. Erst als er diesen niederschlug und dieser sich weinend am Boden wälzte, war seine Ehre wieder hergestellt. Ein Geschäftsmann erhängt sich am Tag bevor er den historischen Verlust der Firma verkünden soll. Ein junger Mann verliert seine Freundin an einen anderen. Er lauert ihm auf, um ihn zu erstechen. Leider lassen sich fast beliebig viele solcher Beispiele auflisten … Die Gefahr, dass der Gesichtsverlust irrational verarbeitet wird, ist sehr groß.

Die Angst vor Gesichtsverlust kann aber auch innerhalb funktionierender Familiengebilde dazu führen, dass Probleme „unter den Teppich“ gefegt werden. Wie gut oder schlecht so was ist, lässt sich nicht pauschal beantworten. Aber diese Bewertung betrifft ohnehin nur die direkt betroffenen Familienmitglieder selbst. In der Politik ist der Gesichtsverlust ein ganz wichtiger Aspekt, im Geschäftsleben und im öffentlichen Geschehen ebenso. So gibt es Berufszweige, die sich in besonderer Gefahr für den Gesichtsverlust befinden. Richter, Anwälte und Polizisten können ein Lied davon singen. Aber auch Journalisten können eigentlich überhaupt nicht effizient arbeiten, ohne einen Gesichtsverlust auszulösen. Ärzte begeben sich mitunter in Lebensgefahr, wenn sie eine schlimme Diagnose übermitteln müssen. Die Entlassung eines Mitarbeiters kann tödlich enden. Ebenso ist es problematisch einen Mitarbeiter zu kritisieren oder ihn auf „Linie bringen“ zu wollen.

Als wir unser Auto verkauften und eine zeitlang dann auch den Fahrer nicht benötigten, für den wir keine andere Beschäftigung hatten, mussten wir ihm kündigen. Da wir wussten, dass er als Asiate dabei freundlich bleibt, dennoch durch den Vorgang selbst schnell sein Gesicht verlieren kann, boten wir ihm eine Abfindung an. So bezahlten wir ihm etwas mehr als ihm zustand und gaben ihm in Naturalien sein „Abschiedsgeschenk“. Er bedankte sich und empfahl sich gleich für den Zeitpunkt, dass wir wieder einen Fahrer benötigten. Der Gesichtsverlust war abgewendet. Dies ist aber ein Dilemma im gegenseitigen Kulturverständnis. Als Westler muss gerade hier Zurückhaltung gelten, da man sonst schnell Scherben hinterlässt und einen Gesichtsverlust mit fatalen Folgen auslöst.

Aber auch ganz witzige Blüten kann die Angst vorm Gesichtsverlust treiben: fragt man jemanden nach dem Weg und er kennt ihn nicht – nein, er kann das nicht zugeben! Er schickt Dich in die Prärie … Das selbe Verhalten, wenn man einen Verkäufer im Supermarkt nach einem Produkt fragt, wo er aber dessen Regal nicht kennt … „ist gerade ausgegangen!“ wird er antworten. Nicht darüber wundern, wenn man es 2 Minuten später selbst findet. Ein anderes Problem kann entstehen, wenn man jemandem etwas zu erklären versucht. Gerade wenn man dann davon ausgeht, dass es der Gegenüber verstanden hat und man die erste Antwort von ihm nicht schlüssig einsortieren kann, dann ist etwas schief gelaufen! Denn sehr wahrscheinlich hat er überhaupt nichts kapiert und kann aber aus Angst vorm Gesichtsverlust nicht nachfragen …

Fortsetzung folgt

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Fortsetzung

„Von Geburt an wächst jedes asiatische Kind in dieses Empfinden, dass der Gesichtsverlust das Schlimmste überhaupt darstellt, was einem Menschen widerfahren kann. Diese Angst sitzt sehr tief und kann mitunter zu einer geistigen Starre führen, die den Mut etwas zu wagen, blockiert. Sie ist auch der Grund weshalb man von Asiaten immer nur das erwarten kann, was man ihnen direkt anweist! Denn wenn er bei etwas wo er keine direkte Order dafür hatte einen Fehler macht, verliert er sein Gesicht!“

Angeregt durch eine Diskussion, wo jemand nachfragte wie man denn diese Starre überwinden kann, hab ich bei einem Auslandsfilipino nachgefragt, von dem ich weiss, dass er dieses Problem in seiner mehr als 15-jährigen Auslandszeit, schon längst überwunden hat.

Sinngemäß antwortete er mir, bezogen auf die Arbeitswelt: Ein Asiate von dem man sich wünscht, dass er etwas tut wofür er keine Anweisung hat, kann man nur langsam in die westliche Denkart begleiten. Er benötigt hierfür Vorbilder und ein Vorleben der westlichen Kultur. Dies bedeutet in einer Firma die solch ein Verhalten sich wünscht, muss die westliche Kultur gelebt werden! Es ist nahezu unmöglich, in einem asiatischen Umfeld von einem Asiaten der das nicht gelernt hat, dieses zu verlangen! Stattdessen sollte man einzelne Mitarbeiter durch Weiterbildung gezielt darauf schulen, nämlich diejenigen welche sich als Vorbild auch eignen.

Dazu möchte ich ein Beispiel aus der eigenen Familie nennen. Unsere Adoptivtochter wollte auf dem Netzwerkdrucker etwas ausdrucken. Normalerweise ist der an und druckt das aus was man ihm schickt. Doch er druckte nichts. Verunsichert davon fragt sie mich, ob sie denn nochmals drucken soll? Doch ich frage zurück, ob denn der Drucker überhaupt angeschaltet sei, da dies sonst nichts bringt? Die Antwort darauf: Nein, war er nicht.

Statt sich zu bücken und den einzuschalten oder falls sie nicht weiß wo der Schalter sitzt, danach zu fragen: Nichts! … Ich warte auf Ihre Aktion oder Frage, doch da kommt überhaupt nichts! Das Kind lebt seit über 2 Jahren in unserem Haushalt, wächst in der westlichen Kultur auf und wir sprechen das Kind bei Beobachten dieser Verhaltensmuster immer wieder darauf an! Doch es erstarrt. Erst als ich dann nachfrage wie und was es zu tun gedenkt, passiert der Schritt in die richtige Richtung.

Will damit nur andeuten, wie stark die Kulturmerkmale bereits bis zum zehnten Lebensjahr etabliert sind und wie schwierig es ist, im Kopf die Blockade zu lösen. Unsere eigenen Kinder leben nämlich gerade zu hause dem Kind die westliche Kultur vor und dennoch gibt es verschiedene Dinge, die sehr tief sitzen.

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Dieses verdammte Unter-den-Teppich-kehren beisst den Pinoys regelmäßig den A. ab… :enraged_face:

Trotz Katholizismus hat sich das Canossa-Prinzip nie durchsetzen können… :person_shrugging:

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Das hat glaube ich mit der in den Asiatischen Ländern vorherrschenden „Schamkultur“ zu tun - alles vermeiden was Scham für einen selbst oder auch die Familie auslösen könnte - egal mit welcher Konsequenz.

Das Canossa-Prinzip funktioniert ja auch nur aufgrund einer „Schuldkultur“, die in den meisten westlichen Ländern ja auch durch den christlichen Glauben etabliert wurde, aber sich auf den Philippinen - trotz der katholischen Lehre - nie hat etablieren können.

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Dann ist es vielleicht das falsche Beispiel. Fehler eingestehen, um dann besser weiter zu machen - das Prinzip gibt es ja in vielen Kulturen, auch asiatischen, siehe Japan.

Ja aber die Tradition des KAIZEN - also der persönlichen kontinuierlichen Verbesserung ist wohl innerhalb Asiens eine Japanische Eigenart.

Zum Kaizen gehört ja auch Hansei - Selbstkritik und Selbstreflexion - auch eine eher japanische traditionelle Eigenart.

Aber es gibt sie. Also nicht nur im Westen. Wir können ja jedes Land durchgehen… :rofl:

Das würde hier im Faden zu noch mehr OT führen.
Aber generell sind die Ost-Asiatischen (auch die Japanische) Kulturen Schamkulturen in der das Kollektiv einen höheren Stellenwert hat als in den westlichen / christlich geprägten Kulturen, in der die Schuld(Kultur) des Individuums höher bewertet wird.

Ich habe mal vor langer Zeit einen Aufsatz über ein (fiktives) Gespräch zwischen Kant und Konfuzius gelesen - war für diese Gegenüberstellung von Kulturen sehr spannend und aufschlussreich.

So nun aber wieder zurück zu der Vorstellung philippinischer Städte.

Deshalb kann es hier gerne weitergehen. :innocent:

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Hatte diesen Faden schon wieder vergessen.

Aber er beschreibt ja am Anfang auch schon gut, welche grundsätzlichen Unterschiede zu europäischen Schuldkultur es gibt und zu beachten gilt.

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natuerlich gibt es literatur:

sehr interessant.

irgendwann in den 1980er jahren habe ich mich gefragt, wie man etwas verlieren kann das man garnicht hat.

und irgendwann bin ich zu dem schluss gekommen das die „asiaten“ von denen viele fast garnichts gemeinsames haben, den „sog. gesichtsverlust“ erfunden haben um die westler im schach zu hatlen.

Na eine etwas eigenwillige Auslegung - lach,

Das Streben, sein Gesicht zu wahren, und die Furcht, Gesicht zu verlieren, sind als Charakteristika aisatischer Mentalität das vielleicht bekannteste Merkmal der Kulturen und Gesellschaften über den ganzen östlichen und süd-östlichen Bereiche Asiens.

Die Wurzeln im Konfuzianismus vermutet, aber wie auch immer, das Gesicht wahren ist sehr sehr lange in den Gesellschaften verankert.

Selbst Mao hat es nicht geschafft, diese „Unart“ seinem Volk auszutreiben.

Den Unterschied zwischen westlicher und asiatischer Sichtweise ergibt sich im verschiedenen Ideal des Selbstbildes, das individualistische und kollektivistische Kulturen ihren Mitgliedern vermitteln.

Und mit meiner langjährigen Erfahrung - vor allem aus China - kann ich nur sagen, man kann als Wester dies auch aktiv für sich nutzen, den der Asiatische Gegenüber muss ja auch darauf achten, das du dein Gesicht nicht verlierst.

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du hast ohne frage recht. wobei ich das ehr durch die sachliche / praktische seite sehe. und da stellen sich die dinge gelegendlich unterschiedlich dar.

Ist das heute auch noch so?
Früher ja, war das so.
Also wenn ich mir da angucke, was die Besitzerin des Grundstückes auf der anderen Straßenseite die letzten Tage abgezogen hat, weil sie Land für den Straßenbau abgeben muß.
Uns bei Puplikum beschimpft und rumgetobt auf unterstem Niveau.
Die dürfte dann jetzt vollkommen gesichtslos rumlaufen.
Das ist übrigens die Mutter von der Frau gegenüber mit 4 Kids die in den Emiraten seit 2 Jahren als Kindermädchen arbeitet.
Der Vater ist mit den 4 Kids alleine, dem hilft weder seine noch die Familie seiner Frau überhaupt nicht.
Selbst als er im Krankenhaus wegen Dengue lag, mussten die Kids wochenlang ganz alleine da zurecht kommen.
Keiner, auch nicht die Nachbarn machten irgendwas, wir waren zu der Zeit nicht da.
Also das mit dem Gesichtsverlust ist hier heute nicht mehr so wie früher.
Das erlebe wir gerade life.

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damit haben die filipinos so gut wie garnichts zu tuen. und vielleicht wohnst du in der falschen gegend.

Die Karte Gesichtsverlust wird von Pinoy nur dann gezogen, wenn sie nützlich ist.
Sonst nicht.
Eben genauso wie beim katholischen Glauben.

Scheinbar haben Ausländer für Pinoy auch gar kein Gesicht.