von Gerhard Knauber:
Wenn man nun einerseits den Gesichtsverlust vermeiden will und ebenso das Harmonieprinzip einhalten möchte, tut sich ein neues Verhaltensmuster auf, ohne welches dies kaum gelingen kann: die „Indirektheit“! Diese bedeutet konkret: man redet mitunter stundenlang um den heißen Brei herum! Es gilt dabei zu vermeiden, dass man Probleme direkt anspricht oder gar jemanden kritisiert. Für westlich orientierte Betrachter winden sich die Beteiligten solange, dass man am liebsten aufstehen, auf den Tisch hauen und mal richtig „Tacheles“ sprechen möchte! Keiner kommt auf den Punkt. Man versteckt geradezu die Kritik in seinen Worten. Wenn man nicht so viel Zeit zur Klärung des Sachverhaltes hat, besteht die Möglichkeit einen Mittelsmann einzusetzen.
So erinnere ich mich als wir unsere Kinder auf die neue Schule vorbereiten mussten. Die Haupttutorin schaffte zeitlich nicht alles, sodass wir als zweite Tutorin deren Schwester akzeptierten. Der fehlte aber die Erfahrung und sie begann methodisch sehr ineffektiv! So hatten wir einige Verbesserungen vorzuschlagen. Aber nur deren sofortige Umsetzung hätte Sinn gemacht. Deshalb sprachen wir mit der Haupttutorin, ohne Beisein ihrer Schwester und erläuterten ihr gegenüber unsere Wünsche. Am nächsten Tag kam die Schwester und setzte die Dinge welche wir wünschten um, ohne dass sie ihr Gesicht dabei verloren hätte. Bei direkter Ansprache wäre das Verhältnis mehr als gestört gewesen.
Falls man keinen Mittelsmann einsetzen kann oder möchte, dann gibt es noch eine andere Methode der Indirektheit: man spricht über einen nicht Anwesenden oder eine fiktive Person! Diese wird dann anstelle des Anwesenden indirekt kritisiert und deren Verfehlungen aufgezeigt. So lassen sich dann manche Details ansprechen, ohne jemandem weh zu tun. Allerdings sind hier Grenzen gesetzt, da der Betroffene ja die fiktive Person auf sich übertragen muss. Bei gemäßigtem Vorgehen wird der so zu Kritisierende sein Gesicht nicht verlieren, da ihn persönlich niemand anspricht. Er wird dennoch aufmerksam zuhören und verstehen. Asiatische Antennen sind dafür sehr feinfühlig …
Sollte die zuvor genannte Möglichkeit auch nicht durchführbar sein, dann muss man seine persönliche Kritik sehr behutsam vortragen! D.h. es ist erforderlich seine Beschreibung auf sein eigenes Problem zu beschränken und den anwesenden Verursacher dabei selbst nicht zu kritisieren. Gar nicht so einfach! Beispiel dafür: man lässt sein Auto reparieren, aber die Reparatur ist schlecht durchgeführt. Statt – naheliegend – auf den Mechaniker loszugehen, wird man schneller ans Ziel kommen, indem man über das schlechte Bauteil spricht, welches einem jetzt wieder Probleme bereiten wird. Hingegen wird eine Kritik an der Reparatur viel eher eine Selbstverteidigung auslösen, da man sein Gesicht nicht verlieren will …
Kritik sogar öffentlich zu tätigen ist ebenso verpönt. Auch Kritik am eigenen Land wird kaum akzeptiert, da man diese sofort auf sich persönlich überträgt (als Folge des Gruppendenkens, an anderer Stelle dazu mehr). So hatte ich in einem Gespräch mit einem Rechtsanwalt die philippinische Diskriminierung der Ausländer angesprochen, da diese für die gleiche Leistung 10.000 Pesos bezahlen müssen gegenüber 2.000 Pesos, die Filipinos für exakt das selbe bezahlen. Dies ist eine gesetzlich festgelegte Gebühr, die auch so veröffentlicht wird. Obwohl mein Gegenüber ausreichend Umgang mit Ausländern hatte, hat er meine „Klage“ als persönliche Kritik empfunden und er hat einige Minuten später eine „Gegenattacke“ gefahren, indem er mir was vorwarf wo im Ausland diskriminiert würde. Auch ist es eine Tabuverletzung, vertrauliche Gespräche Dritten gegenüber zu zitieren. Die Folge daraus kann eine Distanzierung aller Parteien zu dem „Schwätzer“ sein!
Vorsicht ist auch vor vermeintlichem Lob geboten, da dieses manchmal Kritik enthalten kann und nicht als Lob sondern als Kritik gemeint ist! Beispiel: man spricht jemanden an, dass er „aber viel zu tun“ habe, meint jedoch seine Geschwindigkeit, da er so langsam arbeitet! Deshalb ist auch Vorsicht hinsichtlich unbedachten Lobes geboten, da dies falsch verstanden werden kann. Sinnlose Nettigkeiten werden nicht als „nett“ empfunden, sondern lösen bei der Gegenseite eine Suche nach einem persönlichen „Fehler“ aus.
Generell ist es so: Das ist eine Form von Diplomatie, die man lernen kann. Wer einen Asiaten „anpoltert“, braucht allerdings keine sinnvolle Antwort mehr zu erwarten! Auch ist es üblich, nicht gleich beim Anlass zur Kritik, diese sofort loswerden zu müssen. Ein paar Stunden oder Tage später, reicht meist auch noch. Wer aber als „Hackklotz“ geboren wurde und vielleicht noch stolz auf seine „Direktheit“ ist, sollte sein bisheriges Glück nicht über strapazieren! Der Gesichtsverlust ist das Schlimmste, was man einem Asiaten antun kann! Entsprechend können seine Reaktionen darauf ausfallen …