Kleiner, brauner Bruder.
Über die strategische Bedeutung der Philippinen für die Vereinigten Staaten von Amerika
Winfried Scharlau - Merian 1982
Der portugiesische Seefahrer im Dienst der spanischen (Krone, Ferdinand Magellan, war auf der Suche nach den Gewürzinseln, als es ihn 1521 auf eine Inselgruppe im Pazifischen Ozean verschlug. Obwohl er weder Nelken noch Muskat fand, nahm er die Inseln für den spanischen König in Besitz. Drei Jahrzehnte nach seiner Ankunft wurden sie nach Philipp II. benannt und hießen fortan Philippinen.
Da das Inselreich auch kein Silber und Gold wie etwa die Länder Mittel- und Südamerikas bieten konnte, konzentrierten sich die Spanier im Lauf der Jahrhunderte auf Manila. Ihr Blick war auf Mexiko und auf China gerichtet. Als die Filipinos sich im Jahre 1896 gegen die spanische Herrschaft erhoben, entfachten sie die erste nationale Revolution in Asien. Es erfüllt sie noch heute mit Stolz, Schrittmacher der Befreiungsbewegung in dieser Hemisphäre gewesen zu sein. Die Vereinigten Staaten von Amerika hatten die Rebellion gegen Spanien politisch unterstützt: freilich nicht im Interesse der Freiheit, sondern mit dem Ziel, die Seeherrschaft im Pazifik zu erlangen. Am 1. Mai 1898 kreuzte ein amerikanisches Geschwader mit sieben Schiffen unter dem Befehl von Admiral George Dewey in der Manila-Bucht auf. Nur drei Stunden feuerten die Schiffskanonen, bis die zwölf spanischen Kriegsschiffe und die Verteidigungsanlagen zerstört waren.
Am Ende des spanisch-amerikanischen Konflikts wurde der Friede mit einer Kaufsumme von 20 Millionen Dollar besiegelt, die die USA für die Philippinen, Puerto Rico und Guam bezahlten. »Wir haben zehn Millionen Malaien für zwei Dollar das Stück sozusagen am Halm eingekauft«, klagte damals ein führender Parlamentarier in Washington, »und niemand kann sagen, wie viel die Ernte kosten wird.« Sie kostete die USA zwei Jahre den inneren und äußeren Frieden, denn sie verstrickten sich in den ersten asiatischen Guerillakrieg, der 70 000 amerikanische Soldaten auf die Philippinen brachte und in seiner abstoßenden Brutalität und Zügellosigkeit den Krieg in Vietnam vorwegnahm. Für die »zehn Millionen Malaien«, das wurde bald offenkundig, brachten die USA jedoch wenig Interesse auf. Der Besitz von Hawaii und den Philippinen ermöglichte die Kontrolle über den Pazifik. Die USA taten alles, sich die Märkte Chinas zu erschließen und des pazifischen Raums, der die halbe Erdkugel ausmacht und in dem ein Drittel der Weltbevölkerung lebte.
Die USA ließen dem »kleinen, braunen Bruder« ein ungewöhnliches Maß an Freiheit. Das ist den Beziehungen der beiden Völker langfristig zugute gekommen. Denn die Mehrheit der Filipinos schaut bis auf den heutigen Tag voller Zutrauen und Bewunderung auf die Vereinigten Staaten von Amerika. Sie haben sich in ihren Beziehungen zu den Amerikanern von Regungen des Herzens leiten lassen, obwohl ihre Zuneigung nur mit Zurückhaltung erwidert wurde. Die Verlässlichkeit ihrer Empfindungen für die USA haben die Filipinos in den Jahren 1941/42 bewiesen, als sie an der Seite der Kolonialmacht Amerika gegen die Truppen Japans kämpften.
Zu keinem Augenblick haben sie ernsthaft den Gedanken erwogen, sich mit Hilfe Japans von der amerikanischen Herrschaft zu befreien. Gemeinsam mit Amerikanern haben philippinische Einheiten bis zum bitteren Ende 1942 in Bataan und Corregidor ausgehalten. Auf der Manila gegenüberliegenden Seite der Bucht sind die Schlachtfelder heute zu besichtigen. Die führenden Männer der Regierung in Manila, allen voran Ferdinand Marcos und Außenminister Carlos Romulo, haben Seite an Seite mit den Amerikanern gekämpft. Ihr Weltbild, ihre feste Bindung an die westliche Allianz ist im pazifischen Krieg bekräftigt worden. Keine negative Erfahrung, auch nicht das amerikanische Debakel in Vietnam, hat diese Beziehung erschüttern können. Das Land hat jedoch mit großen Opfern für den Krieg bezahlen müssen. Nur Warschau ist im Zweiten Weltkrieg stärker zerstört worden als Manila.
Am Strand von Leyte, wo die alliierten Truppen am 20. Oktober 1944 unter Führung von General McArthur wieder philippinischen Boden betraten, erinnert heute ein Denkmal an die Waffenbrüderschaft mit den Vereinigten Staaten. Die USA haben mit einer in Manila hoch eingeschätzten symbolischen Geste die Verdienste der Filipinos gewürdigt: Als erstes asiatisches Land sind die Philippinen im Jahr 1946 von der Kolonialmacht in die nationale Unabhängigkeit entlassen worden. Die philippinische Regierung hat seither eine wichtige Stimme im Kreis der unterentwickelten Nationen, auch in der südostasiatischen Staatengemeinschaft ASEAN (Association of South-East Asian Nations).
Die Hinwendung zu den Nachbarn und die Einbindung in ASEAN haben das philippinisch-amerikanische Verhältnis nicht wesentlich berührt. Noch immer überläßt die Regierung in Manila den Vereinigten Staaten zwei Stützpunkte, die Operationen der amerikanischen Luftwaffe und Marine im Südchinesischen Meer und im Indischen Ozean erleichtern. Die strategische Bedeutung der Philippinen ist dank der stürmischen wirtschaftlichen Entwicklung des pazifischen Beckens sogar noch erheblich gestiegen. Freilich steht der militärische Wert der US-Basen Clark Airfield und Subic Bay, kaum 100 Kilometer nördlich und westlich von Manila, in keinem Verhältnis zum materiellen Ausgleich, den die Regierung in Washington vertraglich zu leisten verpflichtet wurde.
Aber nicht einmal Unrecht und Verletzungen, so hat die Frau des Präsidenten, Imelda Marcos, formuliert, könnten die Philippinen davon abhalten, ein Freund der USA zu bleiben.