Artikel von Carmen Guerrero Nakpil.
Merian Heft 4/82 - Philippinen
Ein Versuch den Filipino zu beschreiben:
«Die Wesenszüge des traditionellen vorspanischen Erbes bestimmen noch heute unser Leben» schreibt der Archäologe Robert Fox über uns Bürger der Philippinen, und er warnt uns davor, die Kraft der Tradition im Verhalten und im Glauben der Filipinos zu unterschätzen.
Archäologische Funde haben gezeigt, daß es schon im 15. Jahrhundert Kulturen und Gesellschaftsformen auf dem Archipel gab, die sich von denen der Nachbarvölker in vielerlei Hinsicht unterschieden. Besondere Merkmale waren das kleine, meist an Küsten oder Flüssen gelegene Reihendorf, linear village, aus dem sich später große, politisch, gesellschaftlich und wirtschaftlich klar umrissene Gemeinwesen entwickelten, ferner ausgeprägter Familiensinn, der durch Heiratspolitik und unantastbare Autorität des Familienoberhaupts noch verstärkt wurde. Die religiösen Anschauungen gründeten sich auf hierarchisch geordnete Götter des Himmels oder der Unterwelt. Tote und Lebende standen in fester Beziehung zueinander; das Leben wurde von dem Geist Verstorbener gelenkt. Eine Vielzahl von Naturgeistern umgab den Lebenden, sie waren gut oder böse, je nachdem, wie man mit ihnen umging. Die Silbenschrift, die Struktur des Gemeinlebens, bodenständige und eingeführte Keramikkunst, bestimmte Verhaltensmuster, Glaubens- und Wertvorstellungen sind Beweise einer eigenständigen Kultur, die allerdings unter einem dreifachen Einfluß stand: der malaiischen Kultur (selbst ein Zwitter), des chinesischen Denkens und der indischen Kunst.
1. Malaiische Liebenswürdigkeit.
Wer den Malaien versteht, begreift den Filipino. In der malaiischen Rasse verbinden sich Wesenszüge der Inder, Perser, Araber, Thais und besonders der Chinesen. Von den Malaien hören wir zum ersten Mal aus Yünnan im Norden Chinas. Von dort zogen sie vor vielen tausend Jahren nach Süden, überquerten die asiatische Landmasse und kamen nach Indonesien. Auf Auslegerbooten gelangten sie auf die Philippinen und nach Taiwan.
Der hervorstechende Wesenszug des Malaien ist seine Liebenswürdigkeit: im Grunde nichts anderes als eine Verbindung traditioneller Tugenden wie Vertrauen, Hoffnung und Nächstenliebe. Der Malaie ist vertrauensselig wie ein Kind, von Natur aus tolerant, geduldig und freundlich. Er lacht ständig und nicht selten über sich selbst. Er ist überzeugt, daß morgen alles besser sein wird, wenn das Schicksal es will. Er ist häufig in Geldschwierigkeiten, denn er ist überwältigend großzügig. Und weil er von Herzen gibt, besteht er selten auf einer Forderung. Er ist mutig bis zum Leichtsinn und - dies vor allem - ein geborener Redner. Er ist schnell bereit, sich auf eine neue Situation einzustellen, und ständig bestrebt, es jedem recht zu machen. Durch all die Jahrtausende seiner überlieferten Geschichte hat der Malaie diese Anpassungsfähigkeit bewiesen. Neue Ideen oder Lehrmeister hat er immer -vielleicht zu bereitwillig - akzeptiert, sie mit seinen Überlieferungen in Einklang gebracht und harmonisch mit ihnen gelebt. Von den Assyrern und Babyloniern übernahm der urdemokratische malaiische Bauer die Idee der göttlichen Würde eines Königs, vom Westen den Säkularismus und Humanismus. Seine Religion besteht aus wahllos zusammengewürfelten Elementen des Animismus, Hinduismus, Islam und Christentums, die der anpassungsfähige Malaie miteinander verwoben hat.
Trotz seines Katholizismus oder seiner Verehrung für die Lehren des Koran, trotz seines modernen Rechtssystems und der im Westen ausgebildeten Polizei, die in den Städten patrouilliert, begeht der Malaie eher eine strafbare Handlung oder Sünde als eine Unschicklichkeit. Freundlichkeit, Gefälligkeit und Zuvorkommenheit sind ihm wichtiger als bloße Tugend und Achtung vor dem Gesetz. Immer zu lächeln, mit herzlichen Worten die Feinheit seiner Gefühle auszudrücken, geistreich und gastfreundlich zu sein, zählt für ihn mehr als eheliche Treue oder Ehrlichkeit gegenüber dem Finanzamt. Die glatte, unverhohlene oder gar verletzende Aufrichtigkeit anderer Völker ist ihm fremd. Offenheit verletzt sein Gefühl für Höflichkeit, Rechtschaffenheit stuft er ein als Zeichen von Exzentrik. Ein pünktlicher Mensch gilt als ungehobelt, und wer aufdringlich ist, will sich über seinen Nachbarn erheben. Wenn der Filipino Ablehnung ausdrückt, vermeidet er die Worte falsch und ungesetzlich und sagt statt dessen, es sei pangit, häßlich, nicht nett. Am meisten schätzt er den, mit dem er gut auskommt. Die Malaien sind also geborene Konformisten. Sie sind auch konservativ, weil sie selten in die Zukunft planen und niemals die Gegenwart, das angenehme Hier und Jetzt, aufs Spiel setzen. Sie sind keine Verstandes-, sondern Gefühlsmenschen; keine Tatmenschen, sondern Lebenskünstler. Selten sind sie ernst, immer geistreich. Sie sind schlau und naiv zugleich, beredt und verschwiegen, umsichtig und sorglos. Mit Zucker, nicht mit der Peitsche lassen sie sich regieren. Der Malaie ist ein Kind der Natur und in gewissem Sinn der älteste Hippie. Weil die Natur es immer gut mit ihm gemeint hat und das Glück ihm oft nicht wohlgesonnen war, verspielt er lieber das Gehalt eines Jahres auf einer Fiesta oder sitzt in seinem Garten und hört seinem Lieblingsvogel zu als einer geregelten Arbeit nachzugehen. Trinken und Vogelgezwitscher, das hat er gelernt, befriedigen mehr und sind zuverlässiger als ein Fünfjahres-Wirtschaftsprogramm. Mit Ausnahme der hindu-indonesischen Tempel und der großartigen Reisterrassen von Banaue und trotz seiner großen Begabung ist die Kunst des Malaien folglich nicht für die Ewigkeit, sondern gegenwartsbezogen und verspielt. Bögen aus Bambus und Laternen aus Papier genügen ihm für die Freuden eines Abends, Rokokostickereien auf zartem Gewebe aus Ananasfasern oder kurze Erzählungen in einer geborgten Sprache drücken die Sehnsüchte seines Herzens wirtschaftlich nicht nur behauptet, sondern war dem Mann hierin oft überlegen.
Trotzdem zeigt sich in dem sonst so geduldigen und nachgiebigen Hedonisten plötzlich ein »hysterischer Zug«, wie westliche Anthropologen herausgefunden haben. Amok überfällt ihn (das Wort ist indo-malaiisch und bedeutet Wut, wütend), gekoppelt mit dem wahnsinnigen Drang zu töten. Da diese Gefühlswallung unter Malaien zu häufig vorkommt, kann man sie nicht einfach übergehen.
Als Erklärungen bieten sich religiöse und medizinische Gründe an. Mit dem Islam kam auch eine bestimmte Neigung zur Gewalttätigkeit auf die Philippinen. So nimmt man an, daß die juramentados (das spanische Wort bedeutet »die Verschworenen«) auf Mindanao einen Schwur geleistet haben, Christen zu töten, um in den Himmel der Muslime zu kommen. Moderne philippinische Psychologen dagegen sind der Meinung, daß die Verhaltensstörung durch sozio-kulturelle Faktoren hervorgerufen wird, weil der impulsive, unreife und überempfindliche Malaie ständig seine Aggressionen unterdrückt und verdrängt: Er ist einem manischen Tötungsdrang, im Grunde einer Form von Selbstmord, ausgeliefert und, aufgestachelt durch seelische Qualen, nicht länger in der Lage, Eifersuchtsgefühle oder wirtschaftlichen Bankrott zu bewältigen, er richtet seine Aggression gegen die ganze Welt, bis er schließlich selbst ihr Opfer wird.
** 2. Chinesische Beharrlichkeit.**
Das zweite Element der traditionellen philippinischen Kultur ist chinesisch. Der Einfluß Chinas (oder was wir heute China nennen) reicht zurück bis zur vormalaiischen Wanderung vor der christlichen Zeitrechnung, denn auf den Philippinen wurden chinesische Töpferwaren aus dem Norden Chinas und aus der Provinz Fukien gefunden.
Der zweite Kontakt kam, zunächst indirekt, dann direkt, gegen Ende des 11. Jahrhunderts durch den Handel mit den Arabern. Neue landwirtschaftliche Methoden wie das Anlegen von Reisterrassen in den Bergprovinzen von Luzon - sie gelten heute als das achte Weltwunder - kamen aus China. Die Ifugao schlugen diese Terrassen als himmelstürmende Treppen aus den Flanken der Mayaoyao- und Carballo-Berge. Aber auch chinesisches Gedankengut, chinesische Philosophie, beeinflußten die Menschen auf den Philippinen. Geduld und Beharrlichkeit, Widerstandsfähigkeit und Voraussicht, Enthaltsamkeit und Sparsamkeit wurden durch die unbeugsamen chinesischen Händler und Handwerker Bestandteile des philippinischen Nationalcharakters. Aus China brachten sie die soziale Lehre des Konfuzius mit, auf die viele Wertvorstellungen zurückgehen. Drei dieser Ideale hat der Chinese in leicht abgewandelter Form in das philippinische Leben herübergerettet: Achtung der Kinder gegenüber den Eltern, wodurch die Beziehung zwischen Eltern, Kindern und entfernten Verwandten zu einer Frage von Ethik und Ehre wurde; Vorstellung vom Menschen als soziales Wesen, das sich in ständiger Vervollkommnung übt und gut mit seinen Mitmenschen auskommt - fundamentale Voraussetzung für die Verwirklichung seiner wichtigsten Ziele, Reichtum, Glück und menschenwürdiges Leben; schließlich das Streben innen weise und außen königlich« zu sein, das Grundthema chinesischen Denkens. Dieses Ideal gilt auch heute noch in der philippinischen Gesellschaft. Unter Weisheit versteht man Vervollkommnung der eigenen Persönlichkeit (ein Beispiel ist das leidenschaftliche Interesse der Filipinos an Bildung) und Pflege von Tugend und Würde. Die königliche Pracht zeigt sich in ausgesuchter Kleidung, im Stolz auf die Herkunft, in Ritual und Etikette, in Reichtum und Besitz, in der Zugehörigkeit zu einer Klasse. Toleranz, Milde, Lebensart und die Weitläufigkeit des Konfuzianismus gehören fraglos zu den Hauptmerkmalen der philippinischen Gesellschaft.
3. Indische Verhaltensmuster .
Der Beitrag der indischen Völker liegt in der Kunst, in den Verhaltensmustern, im Glauben und, indirekt, auch in der Sprache. Indische Kultur erreichte die Philippinen schon zur Zeit der über ganz Malaysia verstreuten Pallawa-Kolonie. Als die aus dem Süden stammenden Pallawas vor dem Ansturm der Chalukyas und der Cholas zurückweichen mußten, zerfielen die Kolonien in unabhängige König- und Kaiserreiche. Zwei davon, das Sri-Vijaya-Reich in Sumatra und das Madjapahit-Reich auf Java, erstreckten sich über ausgedehnte Gebiete Malaysias. Über sie gelangten indisches Gedankengut und indische Kunst auf die Philippinen.
Viele Bräuche, volkstümliche Trachten, Baudenkmäler, das Messing- und Kupferhandwerk kommen aus Indien. Etliche religiöse Überlieferungen gehen zurück auf die Religion der indischen Brahmanen; Hunderte von Wörtern stammen über indonesische Vermittlung aus dem Sanskrit. Viele unserer Legenden und Sagen weisen erstaunliche Parallelen mit der indischen Literatur auf. Der Juwelenschmuck aus der Zeit vor der spanischen Eroberung, die kunstvolle Verzierung der Waffen, die Gestaltung der Häuserfronten sind eindeutig indisch geprägt.
Ein noch klarerer Beweis für den indischen Einfluß ist der Volksglaube, den die Filipinos mit den Bewohnern einiger Gegenden Indiens teilen: Wenn jemand träumt, seine Zähne zu verlieren, bedeutet das den Tod eines Freundes oder Verwandten; wer ins Bett geht, ohne das gewaschene Haar getrocknet zu haben, verfällt dem Wahnsinn; und wer einen Dorn im Halse stecken hat, dem kann eine Katzenpfote Heilung verschaffen.
Zu Recht (wenn auch abschätzig) haben die Spanier die Bewohner des Archipels indios genannt. Mehr als sie oder die Filipinos wußten, waren sie in der Tat Inder.
4. Spanisches Lebensgefühl.
Durch Spanien traten Europa und Amerika in den Gesichtskreis der Filipinos. Dennoch ist es falsch, die »Entdeckung« der Inseln durch Magellan an den Anfang zu setzen. Ein Jahrzehnt vorher hatten die Portugiesen die Molukken erobert und sich von dieser strategisch günstigen Stelle aus über das Inselreich ausgebreitet. Zu Beginn der christlichen Zeitrechnung gab es einen bescheidenen Handel zwischen Rom und China der Jahre früher, nach der Eroberung Indiens durch Alexander den Großen, trieben Indien und Griechenland Handel.
Der Einfluß Spaniens ist weitgehend bekannt: Christianisierung, Organisation der Gesellschaft nach westlichem Muster - was zur nationalen Einheit führte und den Grundstein legte für den Begriff Nation -, spanische Gesetzgebung, die Verbreitung der spanischen Sprache und gewisse spanische Züge im Nationalcharakter der Filipinos.
Die Spanier und die spanischen Mexikaner formten die Filipinos zu »Städtern« im Bannkreis von Kirchenglocken, Pfarrhaus, Pfarrschule und Gemeindesaal. Sie bauten Straßen, führten neue Pflanzen ein, verbesserten landwirtschaftliche Methoden, sorgten für Frieden und unterstellten die Filipinos behördlicher Autorität. Mit oft brutalen und repressiven Maßnahmen machten sie sie zu mittelalterlichen Europäern. Aus Mittel- und Lateinamerika wurden Mais, Süßkartoffel, Kassava, Welsche und Limabohne, Kichererbse, Erdnuß, Kürbis, Tomate, grüner Pfeffer, Chili, Kakao und Früchte wie Guave, Chico, Süßapfel, Cashew sowie Pflaume und natürlich Tabak und Parakautschuk ins Land gebracht. Die Architektur der Städte, der öffentlichen Gebäude und Wohnhäuser, Möbel, Werkzeuge, Geräte, Waffen und Nationaltrachten, Mode und Schmuck, künstlerische Ausdrucksformen wie das spanische Singspiel, die Zarzuela, und das Versdrama, Volkskunst wie Stickerei und Holzschnitzarbeiten und besonders Gesang und Tanz sind von Spanien beeinflußt.
Die Filipinos tragen spanische Namen, und obwohl selbst auf dem Höhepunkt spanischer Macht nur verhältnismäßig wenige Filipinos die Sprache der Kolonialherren beherrschten (heute sind es etwa zwei Prozent), haben die malaio-polynesischen Sprachen des Archipels Tausende von Hispanismen entlehnt. Die Sprache der von europäisierten ilustrados (wirtschaftliche Elite) getragenen Revolution war Spanisch, und in Spanisch wurde bis zum ersten Jahrzehnt unseres Jahrhunderts die Mehrzahl der historischen und literarischen Werke geschrieben. Lebensgefühl und -rhythmus der philippinischen Städte und Kleinstädte sind noch immer spanisch. Sonn- und Feiertage spielen sich in den Familien nach spanischen Gepflogenheiten ab. Über drei Viertel der Filipinos bekennen sich zur römisch-katholischen Kirche, aber ihre Religion ist durchsetzt von Aberglauben und außerchristlichen Vorstellungen. Die Donquichotterie der Filipinos - eine Mischung aus Großherzigkeit und Überheblichkeit - ist spanisch, ebenso wie die Betonung von äußerem Schein und Ansehen, von Privilegien und gesellschaftlichem Status. So sind eigentlich die Filipinos heute spanischer als die Spanier. Aber der spanische Beitrag - eine Bereicherung? - wird aufgehoben durch eine tiefgreifende Veränderung im Bewußtsein der Filipinos: Der vierhundert Jahre lang gehegte Verdacht wurde Gewißheit, als man begriff, daß man wegen seiner Abstammung, seiner dunkleren Hautfarbe, seiner kleineren Nase, seiner asiatischen Herkunft weniger galt als der weiße Mann. Dieses Minderwertigkeitsgefühl, das die Kolonialherren einem ganzen Volk einimpften, kann nicht durch noch so viele Barockkirchen, weder durch philippinischer Schönheitsköniginnen aufgewogen werden.
Spanische Autoren nannten die Philippinen La Espana Negra, das Schwarze Spanien. Der spanische Einfluß war untrennbar verbunden mit der spanischamerikanischen und amerikanisch-indianischen Kultur, besonders der mexikanischen. Deshalb hält man im Ausland städtische Filipinos oft für Mexikaner, und das nicht nur wegen verwandter Rassenmerkmale (auch die Indianer Mexikos sollen aus Asien kommen), sondern weil diese beiden Kulturen große Ähnlichkeiten aufweisen. Cuernavaca und Mexiko City ähneln stark dem Intramuros (Spanisch-Manila) der Vorkriegszeit, Vigan oder jeder anderen Stadt. Die Markttage in philippinischen Kleinstädten gleichen mexikanischen bis hin zu ihren Namen, Produkten, Speisekarten.
Man muß sich ins Gedächtnis zurückrufen, daß Manila über 250 Jahre vom spanischen Mexiko verwaltet wurde. Erst nach der mexikanischen Unabhängigkeit wurde Manila direkt von Madrid aus regiert. Von 1571 an, dem Jahr, in dem der aus Mexiko stammende conquistador Legazpi Manila eroberte, bis 1815, als Mexiko seine Unabhängigkeit erklärte, bildeten die Manila-Galeonen die Nabelschnur, die die Philippinen mit Mexiko verband. Die Galeonen maßen 200 bis 300 Tonnen, sie beförderten Beamte, Waffen, königliche Sendschreiben, Verwaltungsakten und große Mengen mexikanischer Silberdollars, die offizielles Zahlungsmittel in Asien wurden. Nach Mexiko wurden Silber, Tee und chinesische Teppiche, indische Tuche, die begehrten und wertvollen Gewürze (derentwegen das europäische Zeitalter der Ausbeutung begann), Gold, Wolle und gelber Wachs verschifft. Bis zum heutigen Tage schmückt der manton de Manila, ein Umhang, mexikanische Balkone und Wohnzimmer, und die Nationaltracht der Mexikaner heißt la china pueblana.
5. Amerikanischer Pragmatismus
Der amerikanische Einfluß, der kürzeste und jüngste in der Geschichte der Philippinen, veränderte das Inselreich am nachhaltigsten. Die europäisierte Führungsschicht in den Städten kannte Amerika und bewunderte seine demokratischen Ideale. Der philippinische Nationalheld Jose Rizal hielt sich mehrere Wochen in den USA auf und schrieb ausführlich in seinem Tagebuch über amerikanische Kultur und ihre Institutionen.
Aber erst mit der philippinischen Revolution, die mit dem philippinisch-amerikanischen Krieg und mit der fünfzig Jahre dauernden Besetzung durch die Amerikaner endete, nahm der amerikanische Einfluß offizielle Formen an. Die wichtigsten und sichtbarsten Auswirkungen: das öffentliche Gesundheitswesen, das Straßennetz, das Schulsystem, die englische Sprache, die, vielleicht oberflächlich, aber weit verbreitet, aus den Philippinen den drittgrößten englischsprachigen Staat der Welt machte, und schließlich die formale Demokratie.
Unstrittig ist, daß die Philippinen die Idee und die Ideale der Demokratie weder von den Amerikanern noch von den Europäern oder anderen Staaten des Westens übernommen haben. Denn auch das armseligste Bergdorf der Ifugao kannte und praktizierte seit vielen hundert Jahren eine Form von Demokratie. Aber die USA machten die Filipinos mit den formalen Techniken westlicher Demokratie vertraut, arbeiteten eine Verfassung aus und setzten sie gezielt ein. Nach amerikanischem Vorbild wurden Filipinos für den Verwaltungsdienst ausgebildet, und obwohl die Malolo-Verfassung zeigt, daß die Filipinos auch ohne fremde Hilfe dazu in der Lage gewesen wären, gab die Geschichte den Amerikanern die Chance, dies für sie zu tun.
Amerikanische Kultur lehrte eine neue Generation von Filipinos, zwei Fragen zu stellen: »Funktioniert es?« und »Was hat er geleistet?« Solche Fragen lauteten früher anders: orientalisch »Was fühlt er?« oder »Was denkt er?«, spanisch »Was stellt er dar?« Der amerikanische Einfluß stellte das gesamte philosophische und gesellschaftliche System auf den Kopf. »Welchen Nutzen bringt es?« wurde zur wichtigsten Frage. Die auf Vernunft und Infragestellung gegründete Ethik des Protestantismus kam ebenfalls aus Amerika. Stärker als die geringe Zahl der Protestanten vermuten läßt, haben die Protestanten dem Denken der Filipinos eine neue Richtung gegeben. Vieles von der bedrückenden Strenge und dem autoritären Stil der katholischen Kirche ist über Nacht der pragmatischen und zwanglosen Lebenseinstellung des Protestantismus gewichen. Die »Iglesia ni Cristo« ist aufgrund hervorragender Organisation in der Lage, mehr Arbeitsplätze zu beschaffen und über mehr Wählerstimmen zu verfügen als jede andere gesellschaftlich relevante Gruppierung auf den Philippinen.
Doch der schnelle und oft unbarmherzige Prozeß der Kulturverpflanzung führte zu einigen monströsen Verwirrungen, die sich heute noch am schizophrenen Verhalten der philippinischen Jugend und an der Häßlichkeit unserer Städte ablesen lassen. Die intellektuelle Abhängigkeit von Amerika machte die Filipinos unfähig, ihr Schicksal selbst in die Hand zu nehmen. Während die amerikanische Coca-Kolonisierung auf der ganzen Welt ein Jahrzehnt dauerte, währte der US-Einfluß auf den Philippinen über ein halbes Jahrhundert. Die philippinische Kultur hat fremde Kulturen, östliche wie westliche, nicht passiv aufgenommen, alles Neue wurde verarbeitet und der eigenen Kultur angepaßt. Das indische Sanskrit und die indische Kunst verwandelten sich in etwas Eigenständiges. Die Familienstruktur der Chinesen, chinesisches Gedankengut und Brauchtum wurden teilweise übernommen und abgewandelt, bis sie nicht länger chinesisch, sondern philippinisch waren. Das spanische Erbe verwandelte sich an anderen Küsten und in einem anderen Klima in etwas, das nicht länger spanisch war. Was Amerika uns bescherte, ist in Glanz und Glimmer allem Anschein nach unverändert, aber im Kern längst etwas Philippinisches geworden.