Die Familie auf den Philippinen

Generell wird in Asien der Familie, eigentlich wie in fast jeder traditionellen Gesellschaft, immer eine größere Bedeutung zugestanden als einer Einzelperson. Das einzelne Familienmitglied erfährt darin einen besonderen Schutz. Deshalb unterscheidet sich die Familienstruktur auch sehr stark von der westlichen Vorstellung.

So übernimmt das Familienoberhaupt die Verantwortung für seine Familie. Dies bedeutet aber auch, dass es sich sich dafür in Belange einmischt, die es für wichtig hält, aber es nach westlichem Verständnis nichts angeht! So wird es bei der Kindererziehung, bei Ehefragen, Schul-Enrollment, Berufswahl, Streitschlichtung oder finanziellen Themen usw. sich mehr oder weniger tief in die Entscheidung des Einzelnen einmischen! Das Familienoberhaupt ist nicht abwählbar und begleitet seine Funktion bis zum Tod. Danach übernimmt der in der Hierarchie Nachfolgende die Funktion. Die Loyalität in der Familie ist normalerweise (zumindest im Idealfall) unbegrenzt. Vorsicht ist allerdings vor den Ausnahmen geboten! Denn Außenseiter sind meist nicht ohne Grund „Abtrünnige“ und werden sich auch nicht in anderen Belangen integrieren. Hingegen nicht zur Familie gehörende Menschen, werden sogar teilweise soweit ausgegrenzt, dass man ihnen mehr als nur reserviert gegenübersteht. So wundern sich viele aus dem Westen stammende, dass bei einem Verkehrsunfall sich manchmal keiner drum kümmert oder gar hilft …

Das heißt hier verbirgt sich ein komplett anderes Wertesystem! Denn im Gegensatz zum Westen, wo Individualität und Egoismus dominieren und man dafür eine Alterseinsamkeit in Kauf nimmt, steht in Asien die Großfamilie mit weitem Abstand an erster Stelle. Ältere Menschen werden deshalb derzeit noch mehr respektiert, als im Westen. Die Familie ist DIE Altersversorgung, sie ist ein Personenschutz, ein Hort der Geborgenheit und vieles mehr. Die Familie bildet den persönlichen Bewegungsrahmen und definiert in weiten Zügen das Leben. So ist es nicht sonderlich verwunderlich, dass die Großeltern oft ein gewichtiges Wort bei der Kindererziehung haben und in die Erziehung den Eltern reinreden! Andererseits ist den Großeltern, ohne weitere Hinterfragung, selbstverständlich ihr Auskommen bis zum Tod gesichert.

Doch es gibt noch andere Tragweiten dieses Familiensystems. Denn die Familie ersetzt oft Freundschaften, wie man sie vom Westen her kennt. Dort ist eine Freundschaft meist die engste menschliche Beziehung, gleich nach der Partnerschaft. Dass dies aber nicht nur Vorteile hat, zeigen all die Fälle im Westen, bei denen das ganze Leben aus den Fugen zu geraten droht, wenn eine Freundschaft zerbricht. Dagegen sind tiefer gehende Freundschaften in Asien eher selten. Die Familie ersetzt diese in nahezu jeder Beziehung. Denn während Freundschaften abrupt zu Ende gehen können, Verwandtschaftsverhältnisse sind nicht kündbar! Die Tochter bleibt die Tochter und der Opa bleibt der Großvater. Die Mutter wird nicht in ein Heim abgeschoben, nur weil sie zum Pflegefall wird. Sie käme niemals auf den Gedanken, dass sie jemandem dadurch in eine unzumutbare Situation brächte. Auch die Eltern müssen sich keinen Kopf zerbrechen, wer auf das Kleinkind aufpasst, da der Babysitter gerade Urlaub hat. Sollte jemand auf irgendeine Weise ein Familienmitglied gar bedrohen, dann wird er es schnell mit der ganzen Sippe zu tun bekommen.

Ein anderer Punkt der sehr oft auf Unverständnis im westlichen Lager stößt, sind die familiären Umgangsformen. So sind Streitigkeiten in Asien innerhalb einer Familie zwar meist an der „Tagesordnung“, gehen aber üblicherweise nicht so tief. Hingegen Streitigkeiten außerhalb der Familie, versucht man aus dem Weg zu gehen, da schnell unüberbrückbare Gräben entstehen. Daraus ergeben sich dann für das westliche Verständnis kaum nachvollziehbare Sachverhalte. So streiten und zanken sich dann z.B. zwei erwachsene Schwestern, dass die Fetzen fliegen. Nur wenige Stunden später sind beide einträchtig beim Shopping zu sehen. Falls sich das häufiger wiederholen sollte, wäre das kein Widerspruch, sondern eher eine Bestätigung der Regel! Gerade dieses schnelle „Verzeihen“ wird im Westen häufig als „oberflächlich“ missverstanden.

Wenn nun ein Westler Gefallen an dem asiatischen Familienmodell findet und auf die Idee kommt, sich in solch eine Familie einbringen zu wollen, sollte sich aber zumindest auch diesen Abschnitt möglichst vorher durchlesen. Denn der Verlust der Individualität, der Intimsphäre und Freiheit, mag auf eine zeitlich befristete Dauer noch wie ein Abenteuer wirken, das man vielleicht gerne mal eingeht. Aber wie sieht es denn aus, wenn ich täglich bemerke, dass sich Mitglieder der Familie am Tage in meinem Bett ausruhen? Wie werde ich die tägliche „Ganztagesmahlzeit“ verkraften (so kann es zumindest jemandem vorkommen, wenn 25 und mehr Menschen nicht gleichzeitig am Tisch Platz finden aber mindestens Frühstück, Mittagessen und Abendessen daran einnehmen)? Geht mir die Verwandtschaft nicht auf den Zeiger, wenn ich mal einen Ausflug alleine machen will? Denn auch da ist es selbstverständlich, dass man ohne weitere Rückfrage fertig gepackt neben dem Auto bereits wartet. Wo kann ich denn hingehen, wenn ich mal ein paar Stunden ganz alleine sein möchte? Werde ich damit klar kommen, dass ein „Geheimnis“ welches ich nur mit einem Menschen teilen möchte, innerhalb einer Stunde die ganze Sippschaft diskutiert? …

Dass nämlich der Gewinn durch die Familienbeziehung sich für jemanden, welcher im Westen mit dem westlichen Wertesystem aufwuchs, mehr als nur zum Prüfstein werden kann, ist noch verständlich. Aber eigentlich muss man vor solch folgenreichen Entscheidungen warnen, diese leichtfertig oder vorschnell zu treffen – sie sind reiflich zu überlegen! Denn ein Rückzug aus dem Clan ist kaum reibungsfrei durchführbar und kann katastrophal enden, denn oft bleibt es dann nicht bei Enttäuschungen oder „nur“ Gefühlsverletzungen …

Text: Gerhard Knauber
Foto: @PhilStep

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Vieles was in dem Artikel steht könnte ich unterschreiben, aber nicht alles. So manches ändert sich auch auf den Philippinen (auch wenn ich fast alle Länder in Südostasien bereist habe, kenne ich in diesen keine Familien und kann somit nicht beurteilen, wie Familien miteinander umgehen).
In Familien, wo der Wohlstand zunimmt, kann man durchaus feststellen, dass das System der Großfamilie an Wichtichkeit verliert. Jüngere, gut verdienende Filipinos haben wohl nicht immer große Lust, den eher trägen Zweig der Familie mit zu versorgen. Zumindest meine Beobachtung.

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@Wumk Ich glaube, dass die auch von Dir beschriebenen Veränderungen bei Familien im urbanen Raum und in besser gestellten Familien schon länger im Gange sind. Dazu kam und kommt die Digitalisierung und Online Medien. Die Veränderungen beschleunigen sich weiter. Eventuell haben da @Sir_Pogi und andere Mitglieder aus Metro Manila etc. ähnliche Erkenntnisse? :person_shrugging:

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„Die Jungs“ (16 / 21) haben gestern von ihrer Familie Flak bekommen, weil sie ihre Meinung gesagt haben. Pinoy Family Drama, und ihr Vater „zu Unrecht beschuldigt“. Das wollten sie so nicht stehen lassen. Da wurde sich über „disrespect“ beklagt „nach allem was wir für euch getan haben“.

Frau sagt „wofür sollen die die respektieren? Die kann doch keiner ernst nehmen“. Ich fragte, wer ausser meiner Frau und dem einen Lolo je was für die Jungs getan hat, die Antwort war kurz.

Ich lebe aber wie gesagt oft in der Ausnahme. Bei uns gibt’s generell keine Auseinandersetzung über Tsismis, sondern Probleme werden angesprochen.

Korrekt. Manche der Eltern nehmen das ein bisschen krumm. Andere kümmern sich um ihr „Renteneinkommen“ und lassen die Kinder in Ruhe, gab aber auch schon Fälle wo „Kostgeld“ verlangt wurde. Eher symbolisch, aber „damit sie es lernen“.

Eine Nichte musste dran erinnert werden, dass es höflich ist wenn sie, da sie nun arbeitet, die Leuten die sie unterstützt haben, einmal(!) zum Essen einlädt um zu feiern, dass sie nun ihr eigenes Geld hat. Ansonsten soll sie das aber behalten.

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Eine absolut dämliche Äußerung, egal ob auf den Philippinen oder sonstwo geäußert.

Wir versuchen meiner Stieftochter und ihren Kids einzutrichtern, dass sie sich um sich selbst kümmern sollen. Glücklicherweise ist da kaum Familie vorhanden (single Mom, Vater der kids sehr weit weg, kümmert sich auch nicht), die kids haben keinen Bedarf bzgl. Kontaktaufnahme. Aber irgendiwe steckt das Verantwortungsgefühlt tief drin in den Filipinos. der älteste Enkel wollte eigentlich zum Militär (Air Force). hat sich jetzt aber umentschieden. Er sagt, er könnte die Familie nicht alleine lassen. Der Bruder hat eine leichte Behinderung (nach einer Encephalitis). Das er so denkt ehrt ihn, aber wir versuchen, ihn zu überzeugen, dass er erstmal für sich (und evtl. seine eigene, spätere Familie) sorgen soll. Dann klappts auch besser mit eventueller späterer Unterstützung für Mama.

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Sehe ich auch so, und die Frau und die Jungs auch. Die werden schon ihren Weg finden. Und alles, womit wir denen grad unter die Arme greifen tun wir, damit sie bestmögliche Voraussetzungen haben. Was sie draus machen und was dann wird, das liegt nicht in unserer Hand, und wir würden niemals „zurückfordern“.

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